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Trends · Drohnen

Technische, militärische und politische Entwicklungen im Bereich Drohnen

Aktuelle Kriege zeichnen sich immer mehr dadurch aus, dass Drohnen in ihnen eine besondere Rolle zukommt. Der Konflikt um Bergkarabach 2020 und der Krieg in der Ukraine werden häufig als „Drohnenkriege“ apostrophiert. Dabei zeichnet sich erst langsam der komplette Einsatzumfang ab, der mit Drohnen der neuesten, aber vor allem auch zukünftiger Generationen möglich sein wird. Allerdings herrscht um den Begriff „Drohne“ einige Konfusion, da sehr viele unterschiedliche Arten unter ihm subsumiert werden. In diesem Kapitel werden zunächst verschiedene Drohnenarten technisch unterschieden, ehe die neuen militärischen Möglichkeiten und schließlich zukünftige Entwicklungen aufgezeigt werden.

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Die Europäische Union definiert Drohnen im Rahmen ihrer Drohnenregulierung für den zivilen Luftbereich sehr breit als „all aircraft designed to fly without a pilot on board“.2 Diese Definition schließt also klassische Flugzeuge, aber auch Helikopter (oder auch Quadcopter) ein. Im militärischen Bereich wird oft der Begriff UAV (für „Uncrewed Aerial Vehicles“) genutzt. Zentrales Kriterium ist also, dass eine Drohne ein unbemanntes Flugobjekt ist.

Beim Militär ist die Unterscheidung nach Größe, Zuladung, Flughöhe und Ausdauer („Stehzeit“ in der Luft) maßgeblich, wobei die Faktoren einander meist bedingen. Nano- und Minidrohnen sind nur für den Nahbereich vorgesehen, können eine Zuladung im Gramm- bzw. Kilogramm-Bereich aufnehmen und haben meist Flugzeiten von wenigen Minuten bis zu einer halben Stunde, selten mehr. Hierunter fallen die meisten kommerziell erhältlichen Drohnen, vor allem die Drohnen für Privatanwender und Hobbyisten. Entsprechend günstig sind diese Drohnen zu beschaffen: Die Kosten liegen hier meist bei Hunderten oder wenigen Tausend Euro. Obwohl ursprünglich aus dem zivilen Bereich kommend (und in der EU sehr detailliert reguliert3), haben Militärs und nichtstaatliche Gewaltakteure in jüngeren Konflikten das Dual-Use-Potenzial dieser Drohnenkategorie entdeckt.

Drohnen der Medium Altitude, Long Endurance-Klasse (MALE) zeichnen sich durch mittlere Flughöhen (unter 9000 Metern), eine Zuladung bis zu wenigen Tonnen und lange Stehzeit von mehreren Stunden bis zu 2-3 Tagen aus. Bekannt sind z. B. die amerikanischen MQ-1 Predator oder MQ-9 Reaper, die türkische Bayraktar TB2, die chinesische GJ-1 Wing Loong oder die israelische Heron. Diese Drohnen haben meist einen Turbopropeller-Antrieb und sind endsprechend langsam. Sie können direkt über Funk oder indirekt über Satellit gesteuert werden. Hier erreichen die Kosten, je nach Hersteller und Leistung, schnell ein- oder mehrstellige Millionenbeträge pro Einheit. MALE-Drohnen besitzen neben einer Vielzahl an Aufklärungssystemen nicht selten die Fähigkeit, Präzisionsbomben abwerfen oder Flugkörper, vulgo Raketen, abfeuern zu können. Durch ihre Bauart sind sie meist per Radar gut zu detektieren und durch klassische Flugabwehr leicht abzuwehren. MALE-Drohnen sind also primär für den nicht umkämpften Luftraum in einem asymmetrischen Konflikt konzipiert und dominierten deshalb die US-Operationen der späten 2000er und frühen 2010er Jahre sowie den Konflikt um Bergkarabach. Ihr Beitrag in einem symmetrischen staatlichen Konflikt ist aufgrund ihrer Verwundbarkeit gering – sofern eben beide Konfliktseiten eine umfassende und leistungsfähige Flugabwehr aufgebaut haben.4

Schließlich gibt es Drohnen, die sich durch hohe Flughöhen über 10.000 Meter und lange Stehzeiten auszeichnen: High-Altitude, Long Endurance (HALE). Bei diesen Drohnen steht die Aufklärung im Vordergrund. Sie sind nicht nur in der Lage, große Landstriche optisch zu überwachen, sondern können meist ein breites Spektrum an elektromagnetischen Wellen, z. B. Funk oder Handyfunk, erfassen und an die Basis zur Auswertung weiterleiten. Die auf der amerikanischen RQ-4 Hawk basierende Eurohawk-Drohne fällt in diese Kategorie.

Die eingangs genannte Definition verdeckt aber einen wesentlichen Unterschied, der aus militärischer Sicht große Relevanz hat – nämlich die Frage, ob die Drohne so konzipiert wurde, dass sie zu einer Basis bzw. dem Nutzer zurückkehren kann und somit wiederverwendbar ist (Aufklärungsdrohne oder Waffenträger), oder ob sie für einen einmaligen Gebrauch bestimmt ist („Kamikazedrohnen“ oder auch „Loitering Munition“). Diese Unterscheidung hat durchaus praktische bzw. politische Relevanz: So gab es zwischen Russland und den USA immer wieder Unstimmigkeiten über die Interpretation des – inzwischen außer Kraft befindlichen – Intermediate Nuclear Forces-Vertrages (INF). Während Russland argumentierte, US-Kampfdrohnen hätten einem Cruise-Missile vergleichbare Eigenschaften und würden entsprechend unter das Verbot des INF fallen, argumentierten die USA, Drohnen seien im Gegensatz zu Marschflugkörpern „two-way, reusable systems“ und würden entsprechend nicht vom Vertrag erfasst.5 Und auch die Bundesregierung selbst argumentiert heute: „Loitering Munition ist … zum einmaligen Gebrauch (Verschuss) …. Unbemannte Systeme (UAS) sind hingegen grundsätzlich zum wiederholten Einsatz vorgesehen.“6 Dies zeigt nicht nur, wie wichtig es ist, die jeweilige „Drohnenart“ exakt zu spezifizieren, wenn es um Fragen von Rüstungs- und Exportkontrolle oder Einsatzbeschränkungen geht, sondern auch, dass technische Definitionen oft nicht ohne politische Hintergedanken gewählt werden.

Eine Drohne auf einem Rollfeld.

US-amerikanische MQ-9 Reaper auf dem Flugfeld in Duke Field, Florida.

Foto: U.S. Air Force photo/Ilka Cole. The appearance of U.S. Department of Defense (DoD) visual information does not imply or constitute DoD endorsement.

Von der MALE-Drohne zur „steuerbaren Munition“

Aufgrund ihrer Bedeutung in den asymmetrischen Konflikten der 2000er und 2010er Jahre dominierten MALE-Drohnen lange die Vorstellung von Kampfdrohnen. In der Zwischenzeit haben sie durch die veränderten Konfliktlagen, konkret die Resymmetrisierung aktueller Konflikte, an Bedeutung verloren. Im Krieg Russlands gegen die Ukraine spielen MALE-Drohnen nach anfänglich erfolgreichen Einsätzen vor allem auf ukrainischer Seite praktisch keine Rolle mehr. Ihre Kosten stehen in keinem Verhältnis zu ihrer Überlebensfähigkeit und dem geringen Nutzen. Deshalb haben beide Seiten auf neue Techniken und Taktiken zurückgegriffen.

Drohnen als Cruise-Missile-Ersatz

Russland nutzt in großer Anzahl die relativ günstigen und technisch sehr einfachen iranischen Shahed-131-„Drohnen“ als GPS-geleitete Marschflugkörper, die in militärischer Infrastruktur oder auch in zivilen Zielen in Terrorabsicht zur Explosion gebracht werden sollten. Damit ähnelt diese „Drohne“ sowohl vom Einsatzzweck als auch technologisch (wenn auch erheblich fortgeschritten) im Kern der deutschen Fieseler Fi 103 aus dem Zweiten Weltkrieg – eher berüchtigt unter der Bezeichnung „Vergeltungswaffe 1“. Zwar ist auch hier eine Abwehr, z. B. durch Flugabwehrpanzer, Boden-Luft- und auch Luft-Luft-Raketen relativ leicht möglich – dies bewies die erfolgreiche Abwehr des iranischen Angriffs auf Israel, in dem mehr als 170 Drohnen, 120 ballistische Raketen und 30 Cruise-Missiles früh aufgeklärt und nach Angaben der israelischen Streitkräfte zu 99% abgewehrt werden konnten.7

Auf der anderen Seite zeigt der relativ erfolgreiche Einsatz Russlands gegen die Ukraine, dass es angesichts der Anzahl potenzieller Ziele bei einem großen Flächenstaat trotz umfangreicher und auch leistungsfähiger Flugabwehr extrem schwierig und teuer ist, ausreichend defensive Systeme zur Verfügung zu stellen. So verfügt die Ukraine z. B. aktuell nur über drei Patriot-Abwehrsysteme, geht aber von einem Minimum von sieben Systemen aus und strebt langfristig den Besitz von 25 Systemen an – während in ganz Europa außerhalb der Ukraine bislang nur 32 solcher Systeme beschafft sind.8

Ein Balkendiagramm, das zeigt pro Jahr zeigt, wie viele Länder bereits bewaffnete Drohnen eingesetzt haben und welche Länder erstmalig hinzukamen. 2001 bis 2003 nur 1 Land, nämlich die USA. 2004 bis 2007 2 Länder, hinzugekommen ist Israel. 2008 bis 2014, 3 Länder, neu hinzugekommen ist das Vereinigte Königreich. 2015: 4 Länder, neu hinzugekommen ist Pakistan. 2016 bis 2017: 9 Länder, neu hinzugekommen sind Nigeria, Iran, Türkei, Aserbaidschan und Irak. 2018: 10 Länder, neu hinzugekommen sind die Vereinigten Arabischen Emirate. 2019: 12 Länder, neu hinzugekommen sind Frankreich und Russland. 2020: 13 Länder, neu hinzugekommen ist Lybien. 2021: 15 Länder, neu hinzugekommen sind Äthiopien und Marokko. 2022: 18 Länder, neu hinzugekommen sind die Ukraine, Burkina Faso und Mali. 2023: 20 Länder, neu hinzugekommen sind Sudan und Usbekistan.

Abbildung: Staaten, die bewaffnete Drohnen bereits eingesetzt haben. Ausgewiesen sind jeweils die Länder, die im betreffenden Jahr zum ersten Mal Drohnen einsetzten. Nichtstaatliche Akteure wurden nicht berücksichtigt.

Gerade die geringen Herstellungskosten solcher Cruise-Missiles-Drohnen, bedingt durch die einfache verbaute Technologie, machen das – eigentlich technisch anspruchsvolle – System Cruise-Missile für viele Staaten erschwinglich und stellen ein großes Proliferationsproblem und in Masse auch eine echte Gefahr für technologisch fortgeschrittene Staaten dar – vor allem vor dem Hintergrund, dass z. B. eine einzelne Patriot-Rakete mit über 5 Millionen US-Dollar zu Buche schlägt. Wie oben beschrieben wären solche Systeme bei der vom BMVg genutzten Drohnendefinition aber nicht erfasst und müssten in entsprechenden internationalen Verträgen zur Restriktion von Drohnen explizit mitbedacht werden.

Drohnen als Präzisionsmunition

Gleiches gilt, zumindest mit Einschränkungen, für die Klasse der Minidrohnen. Sie haben vor allem im Krieg gegen die Ukraine enorm an Bedeutung gewonnen. Solche leichten und erschwinglichen Drohnen mit Reichweiten um die 10 Kilometer und Schwebezeiten um eine halbe Stunde werden vielfach zur taktischen Echtzeitaufklärung eingesetzt. Die Aufklärungsdaten können dann händisch oder zunehmend auch automatisiert in Datenbanken eingetragen und z. B. an weitreichende Artillerie weitergegeben werden, so dass gegnerische Einheiten innerhalb eines Frontabschnitts mit minimaler Verzögerung bekämpft werden oder Fehlschüsse schnell korrigiert werden können. Die Kopplung von Drohne und Artillerie ist nicht neu und technisch unproblematisch. Aus politischen Gründen verzichten die meisten Staaten aber auf einen direkten Datenaustausch ohne menschliche Kontrolle.9 Solche Zurückhaltung findet auf den Schlachtfeldern in der Ukraine immer weniger statt.

Kleine Drohnen können aber auch mit einer frei fallenden Granate bestückt werden, die z. B. Stellungen, Geschütze oder Panzer vertikal, oft an der schwächsten Stelle angreift. Diese Einsatzoption ist ebenfalls nicht neu und wurde zuerst in den 2010er Jahren durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) im Irak sehr erfolgreich gegen US-Kräfte genutzt und wird so auch im Krieg zwischen Russland und Ukraine auf beiden Seiten angewendet.

Bei den meisten neuen Modellen steuern die Operatoren die Drohne nicht auf Sicht, sondern über eine Kamera aus der Ego-Perspektive – was diesen Modellen die Bezeichnung „FPV-Drohnen“ eingebracht hat und für „First Person View“ steht. Dies ermöglicht es auch bei Mikrodrohnen, jenseits der Sichtgrenze zu operieren, und man ist nur durch die Reichweite des eigenen Funks und die Akkuleistung des Antriebs begrenzt. Nutzt man zur Steuerung gar das Mobilfunknetz oder das Internet, könnten Mikrodrohnen wie auch MALE-Drohnen praktisch von jedem Ort der Welt aus gesteuert werden.

Speziell modifizierte zivile „Renndrohnen“, die sich durch sehr hohe Schnelligkeit, Beschleunigung und Wendigkeit auszeichnen, werden – inzwischen sogar oft mithilfe einer Virtual-Reality-Brille (VR-Brille) – im Tiefflug hochpräzise in ein mögliches Ziel gelenkt und dort zur Explosion gebracht. – So können sie inzwischen sogar Kampfpanzern gefährlich werden. Auch hier werden Drohnen also eher als hochpräzise Munition denn als Plattform genutzt, so dass man, wenn man die Position des BMVg zugrunde legt, nicht mehr von Drohnen, sondern von „steuerbarer Munition“ sprechen müsste – obwohl die zugrunde liegende Technologie identisch ist und unter Umständen sogar das gleiche Modell für Aufklärung und Selbstzerstörungsangriff genutzt werden kann.

Allerdings zeigen aktuelle Entwicklungen auch, dass gerade im Mikro-Bereich Drohnen immer stärker auf bestimmte Einsatzzwecke hin konzipiert und optimiert werden. Gerade auf Seiten der Ukraine gibt es inzwischen eine Vielzahl an Start-ups, die mit immer neuen Drohnendesigns experimentieren – was allerdings Nachteile bei Logistik und Wartung erzeugt. Immer öfter werden Drohnen oder zumindest Ersatzteile auch mittels 3D-Druck erstellt, was die Proliferation solcher kleiner Drohnenmodelle noch einmal erhöht. Wie bedeutsam Kleindrohnen inzwischen geworden sind, zeigt die Tatsache, dass 2023 auf beiden Seiten mehrere 10.000 dieser Drohnen zum Einsatz kamen. Inoffiziellen russischen Quellen zufolge waren es gerade Kleinstdrohnen, die den russischen Vormarsch in der Ukraine stoppten. Dabei reichten im Schnitt sechs bis zehn Drohnen aus, um einen russischen Panzer zu zerstören.10 Anfang des Jahres verkündete die Ukraine dann, die Produktion 2024 auf eine Million(!) solcher FPV-Drohnen zu erhöhen,11 während eine Gruppe europäischer Staaten zeitgleich versprach, der Ukraine im Jahr 2024 eine weitere Million Drohnen zu liefern.12

Das Wissen, wie man kleine Drohnen mit wenig Zuladung herstellt, ist inzwischen weit proliferiert, und praktisch jeder Luftfahrt-Lehrstuhl einer beliebigen Universität ist in der Lage, eigene Drohnen aus frei erhältlichen Komponenten in kürzester Zeit zusammenzubauen. Auch der zivile Markt boomt: Wurden 2022 weltweit noch geschätzte 8,8 Milliarden US-Dollar in diesem Segment umgesetzt, schätzt man die Umsätze 2030 auf fast 55 Milliarden.13 Entsprechend bedingen sich zivile und militärische Innovation im Bereich kleinerer Drohnen aktuell gegenseitig, aber vor allem das Militär profitiert enorm von der Dual-Use-Eigenschaft der Mikrodrohne.

Drohnenabwehr

Im Gegensatz zu den großen Modellen ist die Abwehr kleiner Drohnen aufgrund ihrer geringen Größe und damit verbundenen Wendigkeit schwierig. Für Soldatinnen und Soldaten bedeutet das eine konstante, extreme psychische Belastung, denn es ist oft nicht zu unterscheiden, ob das hohe Surren, das auf eine nahe Drohne und damit große Gefahr hindeutet, von einer feindlichen oder eigenen Drohne ausgeht. Zusätzlich zur physischen Abwehr, wo inzwischen neben Projektilen auch mit Netzen oder Lasern experimentiert wird, wird oft auch auf Störsender oder andere elektronische Kriegsführung zurückgegriffen, die die Kommunikation zwischen Piloten und Drohne unterbrechen soll. Solche Systeme kommen auch im zivilen Bereich zum Einsatz und waren während der Fußball-Europameisterschaft 2024 eines der zentralen Abwehrmittel der deutschen Polizei.14

Die Bedingung für den Erfolg solcher Abwehrmaßnahmen ist, dass die Drohnen immer noch von Menschen gesteuert werden – was noch für die meisten Modelle gilt. Es kommt aber auch die oben beschriebene „loitering munition“ zum Einsatz, also Drohnen, die über einem bestimmten Gebiet kreisen, nach Zielen, z. B. Radarstellungen, Ausschau halten und diese dann – entweder nach menschlicher Freigabe oder auch selbständig – angreifen und kaum noch auf menschliche Steuerung angewiesen sind. Da solche Systeme weniger anfällig für elektronische Störmaßnahmen sind, entsteht hier Druck zu einer immer stärkeren Automatisierung der Systeme, was wiederum den Druck zum Einsatz von menschenunabhängigen Abwehrsystemen erhöht – das klassische Katz-und-Maus-Spiel von Offensive und Defensive.

Aktuelle technische Entwicklungen

Autonome Funktionen

Gerade die aktuelle, zivil kommerziell erhältliche Drohnengeneration enthält schon umfangreiche Algorithmen, die durchaus als „KI“ verstanden werden können, auch wenn sie nicht auf Deep Learning basieren. Dank umfangreicher Hilfsfunktionen wie automatischer Stabilisierung und Ausrichtung im Raum ist die Steuerung moderner Kleinstdrohnen sehr einfach geworden und erlaubt es auch relativ unerfahrenen Pilotinnen und Piloten, diese Drohnen sicher zu steuern. Dies befeuert die mit diesen Systemen verbundene Verbreitungsgefahr.

Drohnenschwärme

Agieren militärische Drohnen aktuell meist noch alleine, so ist schon jetzt absehbar, dass der vernetzte Einsatz als Schwarm15 gerade günstiger Drohnen zukünftig immer häufiger werden wird – vor allem, wenn es dadurch gelingt, Verteidigungssysteme zu überlasten und so, wie es im Militärjargon heißt, „Wirkung zu erzielen“. Eher im Monats- als im Jahrestakt gibt es Meldungen zu neuen Rekorden, die im zivilen Bereich mit koordinierten Drohnenschwärmen aufgestellt wurden, und praktisch keine Großveranstaltung kommt ohne eine eindrucksvolle Drohnenshow aus. Zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Textes stand der Weltrekord bei 5.293 Drohnen, die koordiniert dreidimensionale Figuren an den Nachthimmel zauberten16 – auch wenn die Steuerung meist noch zentral über einen Hauptrechner und nicht dezentral zwischen den Drohnen geschieht. Meist wechseln sich die USA und China als Rekordhalter ab.

Dass das Militär die Relevanz von Drohnenschwärmen erkannt hat, zeigt z. B. das Replicator-Projekt des US-Verteidigungsministeriums, das darauf zielt, bis 2025 „thousands of all-domain, attritable, autonomous swarming robots“ für einen möglichen Einsatz gegen China im pazifischen Raum zu beschaffen.17 Das entsprechende Budget sieht für 2024 und 2025 Gesamtausgaben in Höhe von ca. einer Milliarde US-Dollar vor. Aber auch Schwärme kleiner Drohnen, die in Masse z. B. Panzerkolonnen angreifen oder gegen Infanterie eigesetzt werden können, werden angestrebt. Auch hier spielt KI eine bedeutende Rolle, da es das Ziel ist, dass sich die Schwärme auch ohne externe Einflussnahme selbst organisieren, oder gar ohne GPS-Signal agieren können. Aber Drohnenschwärme müssen nicht zwingend über hohe KI-Fähigkeiten verfügen, um auch leistungsfähige Akteure an den Rand der eigenen Verteidigungsfähigkeit zu führen, wenn sie diese, wie oben beschrieben, schlicht überlasten.

Drohnenträger und KI-Piloten

Welche Bedeutung Drohnen inzwischen einnehmen, zeigt sich daran, dass China mittlerweile dabei ist, den ersten dedizierten und entsprechend optimierten „Drohnenträger“ zu bauen. Das chinesische Schiff hat vermutlich etwa ein Drittel der Größe eines klassischen Flugzeugträgers und scheint geeignet, darauf Drohnen der MALE-Klasse, aber keine bemannten Flugzeuge operieren zu lassen.18 Damit sind China und der Iran, der ein ziviles Transportschiff angepasst hat, aktuell die einzigen Länder, die über eine solche maritime Einheit verfügen.

Diese Beispiele reiner Drohnenträger werden aber sicher Schule machen, zumal der gemischte Betrieb von Drohnen und bemannten Flugzeugen auf klassischen Flugzeugträgern nicht trivial ist und erheblichen Aufwand bedeutet.19 Inzwischen war aber eine Betankungsdrohne, die von Boeing entwickelte MQ-25 „Stingray“ über längere Zeit auf einem US-Flugzeugträger im Testbetrieb, der allerdings nicht ohne Probleme blieb und das Projekt verzögerte. Gleichwohl hält die Navy an dem Projekt fest.20 Einer der Gründe wird sein, dass der Testbetrieb der Stingray wertvolle technische Daten lieferte – und in einem größeren Rahmen verstanden werden muss. Denn es ist schon heute möglich, klassische bemannte Jets durch den Einbau von zusätzlichen Computern weitgehend autonom fliegen zu lassen – inklusive Start und Landung. Aktuell arbeitet DARPA, die Defense Advanced Research Projects Agency, die hochriskante Forschungsprojekte finanziert, an Projekten, die KI-gestützten Luftkampf ermöglichen sollen. War es 2020 noch ein simulierter Luftkampf, den eine KI gegen einen menschlichen Elitepiloten 5:0 gewann und der für Aufsehen unter Expertinnen und Experten sorgte, waren es im September 2023 echte Jets, die von KI bzw. menschlich gesteuert in einem simulierten Dogfight gegeneinander antraten.21 Wer diesmal die Oberhand behielt, wollte DARPA nicht verraten22 – es zeigt aber, dass eine neue operable Drohnenklasse, der unbemannte Kampfjet, in nicht allzu ferner Zukunft ins Kampfgeschehen eingreifen könnte. Schon einige Monate zuvor war ein ähnlicher Kampf in China ausgetragen worden – hier hatte die KI dem menschlichen Piloten keine Chance gelassen. Kampfdrohnen auf Flugzeugträgern könnten so in der Zukunft Reichweite und Schlagkraft von klassischen Flugzeugträgern deutlich erhöhen.

Regulierung und Ausblick

Neue technische Entwicklungen haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass der Einsatz von Drohnen nicht nur im zivilen Bereich rapide zugenommen hat. Gerade im militärischen Bereich haben Drohnen in inzwischen sehr unterschiedlichen Formen erheblich an Bedeutung gewonnen. Dabei spielt gerade der technische Austausch zwischen ziviler und militärischer Nutzung eine wichtige Rolle, und viele Innovationen in diesem Bereich kommen aus dem zivilen Umfeld. Im Bereich der großen Systeme scheint es nur eine Frage der Zeit, bis unbemannte Kampfjets zum Einsatz kommen werden – zu groß scheint der militärische Vorteil gegenüber bemannten Systemen. Allerdings ist der Bereich Drohnen international nur schwach reguliert und die konkreten Regelungen, die bestehen, beziehen sich im Wesentlichen auf asymmetrische Exportkontrollen. Trotz, oder vielleicht wegen der Allgegenwärtigkeit kleiner Drohnen im zivilen Bereich ist vielen Akteuren allerdings nicht bewusst, dass Drohnen schon länger als Dual-Use-Produkt kategorisiert werden und unter Exportkontrollrichtlinien fallen: So sieht z. B. das Wassenaar-Arrangement Restriktionen für Drohnen vor, wenn sie bestimmte Flugdauern überschreiten und auch bei Windstärke 6 oder mehr operieren können, sowie für Technologien, die es ermöglichen, ehemals bemannte Flugzeuge per Fernsteuerung zu fliegen.23 Deutlich größere Drohnen mit über 500 kg Zuladung und Reichweiten über 300 km werden immer noch vom Missile Technology Control Regime (MTCR) erfasst und ihr Export wird durch eine „unconditional strong presumption of denial“ streng reglementiert. Allerdings sind die USA 2020 dazu übergegangen, Drohnen mit einer Geschwindigkeit unter 800 km/h nicht mehr dieser strengen Exportregulierung zu unterwerfen – eine Sichtweise, der sich die Regierung von Präsident Biden inzwischen angeschlossen hat.24

Weitere Regulierungen militärischer Drohnen gibt es aktuell nicht, von einem Verbot ganz zu schweigen. Zwar gab es 2020 eine deutsche „Initiative zur Vereinbarung internationaler Rahmenprinzipien für die militärische Nutzung bewaffneter Drohnen“, die aber relativ schnell und lautlos beerdigt wurde. Hier hatte man den richtigen Zeitpunkt verpasst.

Ähnliches droht für den Bereich zunehmender Autonomie in Drohnen und anderen Waffensystemen. Denn, ob es international zu verbindlichen Regelungen oder gar Verboten von „autonomen Waffensystemen“ kommt, die dann z. B. auch unbemannte Kampfjets umfassen würden, wenn die Angriffe nicht durch Menschen gesteuert werden, erscheint angesichts der starken technischen Dynamiken fraglich.

Eines ist sicher: Kleine Drohnen sind die aktuelle „Weapon of Choice“ gerade ökonomisch schwächerer Akteure. In Masse schwer abzuwehren, leicht nachzuproduzieren und durch zivile Entwicklungen einer konstanten technischen Dynamik unterworfen, können Drohnen nicht nur regionale Machtgleichgewichte erheblich stören – sie stellen auch für technologisch fortgeschrittene und potente Akteure eine erhebliche Gefahr dar. Investition in ein breites Portfolio an Drohnenabwehrmaßnahmen ist also Pflicht.

Footnotes

  1. Der Text basiert in Teilen auf Überlegungen, die schon im Friedensgutachten 2024 vorgestellt wurden, und übernimmt einige Abschnitte, siehe: BICC Bonn International Centre for Conflict Studies, IFSH Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, INEF Institut für Entwicklung und Frieden, PRIF Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (Hrsg.). (2024). Friedensgutachten 2024. transcript Verlag. https://doi.org/10.14361/9783839474211

  2. European Union. Unmanned aircraft (drones). https://transport.ec.europa.eu/transport-modes/air/aviation-safety/unmanned-aircraft-drones_en

  3. European Union. Easy Access Rules for Unmanned Aircraft Systems (Regulations (EU) 2019/947 and 2019/945). European Union Aviation Safety Agency. https://www.easa.europa.eu/en/document-library/easy-access-rules/easy-access-rules-unmanned-aircraft-systems-regulations-eu

  4. Calcara, A., Gilli, A., Gilli, M., Zaccagnini, I. (2022, 31. Juli). Air Defense and the Limits of Drone Technology. Lawfare Media. https://www.lawfaremedia.org/article/air-defense-and-limits-drone-technology

  5. Vgl. das Zitat von Principal Deputy Under Secretary of Defense Brian McKeon, zitiert in https://crsreports.congress.gov/product/pdf/R/R43832, S. 28.

  6. Bundesregierung. (2024). Loitering Munition für die Bundeswehr. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Gerold Otten und der Fraktion der AfD (Drucksache 20/10266). Deutscher Bundestag. https://dserver.bundestag.de/btd/20/104/2010456.pdf

  7. Israel Defense Forces [@IDF]. (2024, 14. April). 300+ launches. 99% interception rate. This is the breakdown of Iran‘s attack last night: [Image attached] [Post]. X. https://x.com/IDF/status/1779503384434819454

  8. Häsler, G., & Rüesch, A. (2024, 21. Juni). Die Ukraine erhält weitere Patriot-Abwehrsysteme und wird bei künftigen Lieferungen bevorzugt. Neue Züricher Zeitung. https://www.nzz.ch/international/ukraine-erhaelt-weitere-patriot-systeme-und-prioritaet-bei-lieferungen-ld.1836207

  9. Persönliches Gespräch mit Angehörigen der Bundeswehr

  10. Samuel Bendett [@sambendett]. (2023, 31. Dezember). 1/ THREAD on the impact of small quadcopters in the Ukraine war over the past year – based on my earlier [Image attached] [Post]. X. https://x.com/sambendett/status/1741454000463941648?t=COXJ91RR3iQLVdKvsRYaxQ&s=19

  11. The Kyiv Independent news desk (2024, 25. Februar). Fedorov: Ukraine to produce 1 million drones per year. The Kyiv Independent. https://kyivindependent.com/fedorov-ukraine-to-produce-1-million-drones-per-year/

  12. Martin, T. (2024, 15. Februar). European coalition bids to deliver 1 million drones to Ukraine. Breaking Defense. https://breakingdefense.com/2024/02/european-coalition-bids-to-deliver-1-million-drones-to-ukraine/

  13. Fortune Business Insights. (2024, 12. August). Commercial Drone Market Size, Industry Share & COVID-19 Impact Analysis (...). https://www.fortunebusinessinsights.com/commercial-drone-market-102171

  14. Kalus, T. (2024, 8. Juni). Reul: Drohnen-Abwehr bei der Fußball-EM ist startklar. WDR. https://www1.wdr.de/nachrichten/drohnenabwehr-stoersender-em-reul-100.html

  15. Verbruggen, M. (2019, Dezember). The Question of Swarm Control: Challenges to Ensuring Human Control over Military Swarms. Non-Proliferation and Disarmament Papers, (65).

  16. Mackenzie, W. (2024, 13. Mai). Largest Drone Swarm Display Sets New World Record. Unmanned Systems Technology. https://www.unmannedsystemstechnology.com/2024/05/largest-drone-swarm-display-sets-new-world-record/

  17. Luckenbaugh, J. (2024, 4. Januar). Replicator Initiative Looks to Swarm Through ‘Valley of Death’. National Defense Magazine. https://www.nationaldefensemagazine.org/articles/2024/1/4/replicator-initiative-looks-to-swarm-through-valley-of-death

  18. Sutton, H I. (2024, 15. Mai). China Builds World’s First Dedicated Drone Carrier. Naval News. https://www.navalnews.com/naval-news/2024/05/china-builds-worlds-first-dedicated-drone-carrier

  19. Schwartz, S., Reuter, C. (2020). 90.000 Tonnen Diplomatie 2.0: Die Integration von unbemannten Systemen in den operativen Flugzeugträgerbetrieb am Beispiel der X-47B. Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik, 13(1). doi: 10.1007/s12399-020-00803-y

  20. Tegler, J. (2024, 26. Januar). Despite Delays, Navy to Accelerate Delivery of Unmanned Tanker. National Defense Magazine. https://www.nationaldefensemagazine.org/articles/2024/1/26/despite-delays-navy-to-accelerate-delivery-of-unmanned-tanker

  21. Defense Advanced Research Project Agency. (2020, 26. August). AlphaDogfight Trials Foreshadow Future of Human-Machine Symbiosis. United States Department of Defense. https://www.darpa.mil/news-events/2020-08-26

  22. Decker, A. (2024, 19. April). An AI took a human pilot in a DARPA-sponsored dogfight. Defense One. https://www.defenseone.com/technology/2024/04/man-vs-machine-ai-agents-take-human-pilot-dogfight/395930/

  23. Wassenaar Arrangement on Export Controls for Conventional Arms and Dual-Use Goods and Technologies. (2023. 1. Dezember). 9.A.12.a and 9. A. 12. b. https://www.wassenaar.org/app/uploads/2023/12/List-of-Dual-Use-Goods-and-Technologies-Munitions-List-2023-1.pdf

  24. Kimball, D. G. (2020, September). U.S. Reinterprets MTCR Rules. Arms Control TODAY, 50. https://www.armscontrol.org/act/2020-09/news/us-reinterprets-mtcr-rules