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Fokus · Chemie

KI-Entwicklungen in der Chemie

Die Integration von KI-Anwendungen in Chemiewerkzeuge revolutioniert die Abläufe sowohl in der universitären als auch in der industriellen chemischen Forschung. Wie wir diese Anwendungen heute nutzen, wird die Zukunft der Disziplin maßgeblich beeinflussen. Die Anwendung von KI in der Chemie hat das Potenzial, bedeutende Fortschritte in Bereichen wie der Analyse chemischer Daten, Reaktionsplanung und Eigenschaftsvorhersage zu ermöglichen. Der inhärente Dual-Use-Charakter dieser Technologie zieht jedoch erhebliche Sicherheitsrisiken nach sich. In diesem Kapitel werden verschiedene Politikempfehlungen gegeben, wie einem Missbrauch von KI in der Chemie vorgebeugt werden kann. Zu den wichtigsten Strategien gehören die Integration von Ethikunterricht in die wissenschaftlichen Lehrpläne, die Verschärfung bestehender KI-Vorschriften und die Verbesserung von Sicherheitsmechanismen und Zugangsbeschränkungen für KI-Tools und Daten.

Das Aufkommen von KI-Anwendungen, die imstande sind, Forschungsaufgaben zu unterstützen, scheint einen Wendepunkt in der Art und Weise zu markieren, wie Chemiker*innen Forschung betreiben. Es ist jedoch einzuräumen, dass die in diesen Anwendungen verwendete KI-Technologie Grenzen hat, da sie noch nicht in der Lage ist, visuelle chemische Notationen zu verstehen, wie z. B. Diagramme chemischer Strukturen oder geometrischer Anordnungen.

Um das Potenzial von Plattformen wie ChatGPT in der Chemie zu nutzen, müssen diese Anwendungen mit Instrumenten ausgestattet werden, die es ihnen ermöglichen, die chemische Notation zu verstehen und zu verarbeiten. In den letzten zehn Jahren haben Forschende und Unternehmen die Entwicklung neuer chemischer Werkzeuge vorangetrieben, die LLMs um solche Fähigkeiten ergänzen können.1 Es gibt bereits zahlreiche LLM-basierte autonome Agenten, die zu Forschungszwecken entwickelt wurden: Agenten für die Literaturrecherche (STORM,2 PaperQA,3 WikiCrow4), für chemische Innovationen und die Planung von Experimenten (ChemCrow,5 Coscientist,6 Chemist-X,7 Organa,8 CALMS,9 LLM-RDF10), für die Automatisierung von Chemieinformatikaufgaben (CACTUS,11 ChatMOF,12 Eunomia,13 ChemChat14) und für die Hypothesenbildung (SciMON,15 SciMuse,16 CoQuest,17 Chem-Reasoner,18 SGA19). Dies sind nur einige aktuelle Beispiele aus einem Bereich, der ein dramatisches Wachstum erlebt hat und in dem ständig neue Fortschritte erreicht werden.

ChemCrow

ChemCrow ist ein Beispiel für einen innovativen LLM-basierten Chemieagenten und wurde von White und Schwaller im Jahr 2023 vorgestellt.20 Dieses hochentwickelte Instrument erweitert die Fähigkeiten von ChatGPT und ermöglicht es, komplexe Aufgaben in der organischen Synthese, der Arzneimittelentdeckung und dem Materialdesign zu bewältigen. Es integriert GPT-4 mit einer Reihe von Chemiewerkzeugen, um so eine Vielzahl von Aufgaben effizient durchzuführen. Die Instrumente sind in vier Kategorien unterteilt:

  1. Allgemeine Werkzeuge ermöglichen ChemCrow den Zugriff auf relevante Informationen im Internet und in wissenschaftlichen Textdokumenten. Sie enthalten auch ein Tool zum Schreiben und Ausführen von Python-Code.

  2. Molekülwerkzeuge ermöglichen die Darstellung chemischer Strukturen, sagen ihre Kosten voraus, berechnen ihre Gewichte und prüfen, ob die untersuchten Moleküle patentiert sind. SMILES (Simplified Molecular Input Line Entry System) ist ein wesentliches Werkzeug, das chemische Strukturen in einer leicht verständlichen und durch Computer verarbeitbaren Form darstellt.

  3. Reaktionswerkzeuge ermöglichen das Erkennen und Kategorisieren von chemischen Reaktionen. Sie sind auch in der Lage, Reaktionen vorherzusagen und neue Synthesewege zu planen, die die Herstellung des untersuchten Moleküls ermöglichen. Die Reproduzierbarkeit wissenschaftlicher Veröffentlichungen beeinflusst die Qualität des Vorhabens erheblich. Außerdem enthalten solche Werkzeuge Algorithmen, die eine Reaktionssequenz in ein maschinenlesbares Format umwandeln, einschließlich der jeweiligen Bedingungen, Zusatzstoffe und Lösungsmittel.

  4. Sicherheitswerkzeuge liefern allgemeine Informationen über Sicherheitsfragen zu einem bestimmten Molekül. Sie umfassen eine Explosivitätsprüfung, um festzustellen, ob die untersuchten Moleküle potenziell explosiv sind, sowie eine Prüfung auf chemische Kampfstoffe. Dieses Tool wird automatisch aktiviert, wenn eine Anfrage zur Synthese oder Modifizierung eines Moleküls gestellt wird; damit wird sichergestellt, dass das betreffende Molekül nicht unter den im Chemiewaffenübereinkommen gelisteten chemischen Kampfstoffen und Vorprodukten zu finden ist. Wenn dies doch der Fall ist, hält das Instrument den Vorgang sofort an. Diese Sicherheitsprüfung kann jedoch relativ einfach umgangen werden, wie im letzten Abschnitt dieses Kapitels ausführlich erläutert wird. Darüber hinaus stellt das Fehlen zahlreicher toxischer und explosiver Chemikalien sowohl im CWÜ als auch in diversen Sprengstoffverzeichnissen einen bemerkenswerten Mangel in dieser Kategorie von listenabhängigen Sicherheitskonzepten dar.

KI-Anwendungen in der Chemie

Die rasante Entwicklung der KI hat in Verbindung mit einer breiten Palette von Chemiewerkzeugen die Integration dieser aufstrebenden Technologie in verschiedene Teilbereiche der Chemie erheblich beschleunigt. Die bemerkenswertesten werden in diesem Abschnitt beschrieben:

  • Reaktions- und Experimentplanung. KI kann Forschende unterstützen, indem sie synthetische Wege zur Schaffung neuer Moleküle oder Materialien vorschlägt – ein Prozess, der als retrosynthetische Analyse bekannt ist. Diese Fähigkeit beschleunigt die Entdeckung von Arzneimitteln und die Materialwissenschaft erheblich, da effiziente und praktikable Wege zu den Zielverbindungen schnell identifiziert werden können.
  • Vorhersage von Eigenschaften. KI-Systeme können die physikalisch-chemischen Eigenschaften einer Verbindung vorhersagen, indem sie ihre chemische Struktur analysieren. Es ist jedoch wichtig, mit diesen Vorhersagen vorsichtig umzugehen und sie immer mit realen experimentellen Daten abzugleichen. Ihre Genauigkeit hängt stark von den Daten ab, die zum Trainieren des Modells verwendet werden. Einige Modelle funktionieren außergewöhnlich gut für bestimmte Arten von Strukturen, sind aber möglicherweise für ein breiteres Spektrum von Chemikalien nicht zuverlässig.
  • Datenanalyse. KI verbessert die Analyse und Interpretation chemischer Daten, die durch Techniken wie Chromatographie, Massenspektrometrie und verschiedene Formen der Spektroskopie generiert werden. Darüber hinaus eignet sie sich gut für die Verarbeitung großer und komplexer chemischer Datensätze und hilft dabei, Korrelationen und verborgene Muster aufzudecken, die mit herkömmlichen Methoden oft nur schwer zu erkennen sind.
  • Literaturübersicht und Hypothesenbildung. KI kann ein sehr hilfreiches Werkzeug sein, um Informationen aus einer Sammlung von Publikationen zu konsolidieren und zu organisieren, was Forschenden viel Zeit und Mühe spart. Darüber hinaus können einige KI-Technologien Informationen aus der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur zusammenstellen und analysieren, um beim Aufstellen neuer Hypothesen zu helfen. Allerdings stößt die KI in diesem Bereich immer noch an ihre Grenzen, wie etwa fehlender gesunder Menschenverstand und fehlende Intuition, die Generierung falscher Informationen (Halluzinationen) und die Schwierigkeit, wirklich neue oder bahnbrechende Konzepte zu erkennen.
  • Autonome Laboratorien („Self-Driving Laboratories”, SDLs). Die Integration von KI mit chemischen Werkzeugen, Robotik und Automatisierung hat das Konzept der „autonomen Labore” befördert. Autonome Labore – auf Englisch „self-driving laboratories” – sind hochentwickelte Technologien, die chemische und biologische Untersuchungen mit minimalem menschlichem Eingriff durchführen können

Chancen und Risiken

Der Dual-Use-Charakter von KI sollte nicht unterschätzt werden. Während KI vielversprechende Anwendungen für die Detektion, Analyse und Verifikation von chemischen Kampfstoffen bietet, birgt sie auch Risiken, einschließlich ihres potenziellen Missbrauchs bei der Entwicklung bereits bekannter oder neuartiger toxischer Verbindungen. Dieser Abschnitt untersucht die Chancen und Risiken der Anwendung von KI im Bereich der Chemie und schließt mit Politikempfehlungen zur Einhegung der identifizierten Risiken.

Chancen: Schutz vor Chemiewaffen

KI kann eine entscheidende Rolle dabei spielen, bestehende Methoden zu verbessern und neue Ansätze dafür zu entwickeln, chemische Kampfstoffe zu entdecken und zu verifizieren sowie Bedrohungen einzuschätzen.

KI hat das Potenzial, die Früherkennung chemischer Kampfstoffe erheblich zu verbessern, indem sie Daten von verschiedenen Sensoren mit größerer Empfindlichkeit und Genauigkeit schnell analysiert. Algorithmen des maschinellen Lernens können komplexe, für chemische Kampfstoffe einzigartige Muster erkennen, was die Entwicklung von Echtzeit-Detektionssystemen für den Einsatz vor Ort ermöglicht. So hat Lees Forschungsgruppe vor kurzem ein neuartiges KI-basiertes System zur Erkennung von chemischen Kampfstoffen vor Ort veröffentlicht, das YOLOv8 – einen fortschrittlichen Objekterkennungsalgorithmus – mit kolorimetrischen Sensoren kombiniert.21 Das System interpretiert Farbveränderungen auf Erkennungspapieren, die chemischen Kampfstoffen ausgesetzt sind, mithilfe eines Modells, das auf Bilder trainiert wurde, die unter verschiedenen Bedingungen aufgenommen wurden.

Über die anfängliche Detektion hinaus könnte die KI eine entscheidende Rolle bei der Verifikation und Analyse von chemischen Kampfstoffen spielen. KI kann analytische Techniken verbessern, indem sie eine präzisere chemische Charakterisierung ermöglicht. Das hilft bei der Entwicklung detaillierter chemischer Fingerabdrücke, die eine Unterscheidung zwischen strukturell ähnlichen Verbindungen ermöglichen – eine für Verifikation und forensische Untersuchungen wesentliche Fähigkeit. KI kann auch bei der Verifikation helfen, indem sie experimentelle Informationen im Zusammenhang mit chemischen Kampfstoffen vorhersagt und Chemikalien identifiziert, die in bestehenden Datenbanken nicht vertreten sind. Darüber hinaus kann KI große Datenmengen effizient verarbeiten und die Ergebnisse mit umfangreichen chemischen Datenbanken abgleichen, wodurch die Erkennungssicherheit erhöht und die Wahrscheinlichkeit falsch-negativer Ergebnisse verringert wird.

Ein Bericht des Instituts der Vereinten Nationen für Abrüstungsforschung (UNIDIR) aus dem Jahr 2020 betonte bereits das erhebliche Potenzial von KI und Digitalisierung für die Verifikationsaktivitäten der OVCW. 22 Im Jahr 2022 veröffentlichten A. Kelle und J. E. Forman ein Buchkapitel mit dem Titel „Verifying the Prohibition of Chemical Weapons in a Digitalized World“. 23 Sie betonen die Flexibilität des Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ), die es erlaubt, KI und neue Technologien zu Verifikationszwecken anzupassen und einzubeziehen.

KI kann auch verwendet werden, um die potenzielle Toxizität chemischer Verbindungen auf der Grundlage ihrer Molekularstruktur vorherzusagen. Diese Fähigkeit kann es ermöglichen, Bedrohungen schneller zu identifizieren und rechtzeitige Gegenmaßnahmen zu entwickeln. So veröffentlichte Jeongs Gruppe 2022 eine Studie über den Dampfdruck und die Vorhersage der Toxizität von Novichok-Kandidaten mit Hilfe von Modellen maschinellen Lernens.24 In einem ähnlichen Zusammenhang beschrieb ein Bericht des US-Energieministeriums die Anwendung von Heracles, einem KI-System, das zur Vorhersage und Identifizierung neuartiger Fentanyl-Derivate geeignet ist, die im allgemeineren Rahmen der Opioidkrise in den USA ein erhebliches Risiko darstellen.25

Allerdings müssen solche Prognosemodelle mit Vorsicht angewendet werden, da ihre Treffsicherheit nicht immer ausreicht, um die tatsächlichen Ergebnisse vorherzusagen. Darüber hinaus birgt diese Anwendung der KI ein Dual-Use-Risiko: Sie könnte dazu missbraucht werden, neue toxische Agenzien zu entwickeln.

Obwohl in den oben genannten Bereichen bereits einige Forschungsarbeiten durchgeführt werden, befindet sich der Einsatz von KI zum Schutz vor chemischen Waffen noch im Anfangsstadium. Um Innovationen in diesem Bereich weiter zu fördern, hat die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) im vergangenen Jahr die „Artificial Intelligence Research Challenge“ ins Leben gerufen.26 Die Challenge konzentriert sich auf die Identifizierung kreativer KI-Anwendungen, die Ziele des CWÜ unterstützen. Von besonderem Interesse für die OVCW sind die Analyse von Dokumenten, um neue Bedrohungen oder Trends sichtbar zu machen, die Auswertung forensischer chemischer Daten zur Gewinnung von Ermittlungserkenntnissen, die Entwicklung medizinischer Gegenmaßnahmen und die Nutzung von Open-Source-Daten, um Berichte über den Einsatz chemischer Waffen zu validieren. Als Ergebnis dieser Research Challenge finanziert die OVCW seit kurzem vier Forschungsgruppen, die ihre Vorschläge binnen eines Jahres entwickeln sollen.27 Diese Vorschläge konzentrieren sich auf (1) die Vorhersage neuartiger toxischer Verbindungen (University of Alberta, Kanada); (2) die automatische Identifizierung gelisteter Chemikalien und die Extraktion relevanter chemischer forensischer Informationen (Niederländische Organisation für angewandte wissenschaftliche Forschung, Niederlande); (3) den Aufbau eines großen Datenrepositoriums für die Toxizität und den Dampfdruck von organophosphorischen Verbindungen (Korea Military Academy, Republik Korea); und (4) die Entwicklung von KI-Instrumenten, die eindeutige chemische Signaturen anhand von Massenspektrometriedaten identifizieren können (Defence Science and Technology Laboratory, Vereinigtes Königreich).

Risiken und Herausforderungen

Der Dual-Use-Charakter von KI-basierten Technologien stellt ein erhebliches Risiko dar, insbesondere im Hinblick auf das Potenzial für schädliche Anwendungen. Die Wahrscheinlichkeit einer Bedrohung kann mit Hilfe der „Bedrohungsgleichung” bewertet werden, die sowohl die Absicht als auch die Fähigkeiten potenzieller Täter*innen berücksichtigt:

Bedrohung = Absicht x Fähigkeit

Unter der Absicht versteht man dabei die Bereitschaft der Täter*innen, eine Handlung auszuführen, während sich die Fähigkeit auf ihr Wissen und ihren Zugang zu den Materialien und Einrichtungen bezieht, die erforderlich sind, um diese Absicht in die Tat umzusetzen. Das tatsächliche Ausmaß der Bedrohung hängt vom Hintergrund der Täter*innen ab, insbesondere von ihrem Fachwissen. Dazu gehört u. a., ob sie über chemische Kenntnisse verfügen, ein Ausbringungssystem herstellen oder erwerben können, in der Lage sind, die Chemikalie in die richtige Form für den Einsatz als Waffe zu bringen, und imstande sind, die Chemikalie sicher zu handhaben, ohne sich selbst zu verletzen.

Die nachstehende Tabelle fasst die wichtigsten Risiken zusammen, die mit dem böswilligen Einsatz von KI bei chemischen Waffen verbunden sind, benennt potenzielle Täter*innen und skizziert mögliche Präventivmaßnahmen:

RisikenPotentielle Täter*innenVorbeugungsmaßnahmen

Zugang zu Informationen

Einzelne Akteure ohne Spezialkenntnisse und Wissenschaftler*innen

  • Bildung/Ethik

  • Zusammenarbeit mit der OVCW

  • KI-Regulierung

  • KI-Sicherheitsmechanismen

  • Zugangsbeschränkung

Entwicklung bekannter oder neuer toxischer Chemikalien

Automatisierte Synthese chemischer Kampfstoffe durch autonome Labore

Personen mit Erfahrung oder Wissenschaftler*innen mit Zugang zu Einrichtungen

1. Zugang zu Informationen. Der Zugang zu sensiblen Informationen über toxische Chemikalien ist über das Internet schon lange möglich, auch schon vor der verbreiteten Einführung von KI-Technologien. So gibt es beispielsweise öffentlich zugängliche Online-Literatur, in der explizit Methoden zur Synthese von Sprengstoffen und chemischen Kampfstoffen beschrieben werden (spezifische Details werden hier absichtlich ausgelassen, um die Verbreitung gefährlicher Informationen zu verhindern). LLMs wie ChatGPT machen den Zugang zu sensiblen Informationen für Akteure ohne Spezialkenntnisse noch schneller und einfacher, wodurch sie potenziell schneller Fachwissen auf dem Gebiet der chemischen Waffen werben können und sie, was noch gefährlicher ist, in die Lage versetzt werden, die Produktion gefährlicher Moleküle ohne spezialisiertes Fachwissen durchzuführen.

2. Konzeption von bekannten oder neuen toxischen Chemikalien. LLMs, die mit chemischen Werkzeugen wie ChemCrow ausgestattet sind, können retrosynthetische Analysen durchführen, so dass sie potenzielle Reaktionswege für die Synthese toxischer chemischer Verbindungen vorschlagen können, die als chemische Kampfstoffe verwendet werden könnten. Obwohl ChemCrow und ähnliche LLM-Assistenten bekanntermaßen über Sicherheitsmaßnahmen verfügen, die den Zugriff auf sensible oder gefährliche Informationen blockieren sollen, können diese Mechanismen leicht umgangen werden, wenn die richtigen Fragen gestellt werden. Oder potenzielle Täter*innen könnten ein LLM einfach bitten, herauszufinden, wie eine Chemikalie synthetisiert werden kann, die auf keiner Liste gefährlicher Stoffe steht, die sich aber dennoch für den Einsatz als chemische Waffe eignen könnte. Wenn sie die nötige Zeit investieren, um ein entsprechendes Feedback von der KI zu erhalten, können sowohl Wissenschaftler*innen als auch Akteure ohne Spezialkenntnisse diese Art von Informationen erhalten. So haben Stendall et al. vor kurzem eine Studie veröffentlicht, in der sie zeigen, wie sie die Sicherheitsvorkehrungen mehrerer LLMs umgehen konnten, um Informationen über Synthesewege zur Herstellung von Cyclosarin zu erhalten, einem starken Nervenkampfstoff, dessen chemische Struktur der von Sarin ähnelt.28 Die Studie thematisierte auch Methoden, wie die Sicherheitsvorkehrungen von ChatGPT-3.5 umgangen werden können, um einen Angriff mit chemischen Waffen zu simulieren, einschließlich von Anweisungen zur Aerosolisierung feiner Partikel, um die großflächige Verbreitung einer toxischen Chemikalie zu erleichtern. Ein weiteres viel diskutiertes Beispiel wurde von Urbina et al. in Zusammenarbeit mit dem Labor Spiez veröffentlicht. Zwei der Autor*innen leiten ein Unternehmen, das sich auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Entwicklung und Synthese von Chemikalien für die Behandlung seltener und vernachlässigter Krankheiten konzentriert.29 Sie haben einen kommerziellen De-novo-Molekülgenerator namens MegaSyn entwickelt,30 der die Bioaktivität vorhersagen und bei der Entdeckung neuer therapeutischer Inhibitoren für menschliche Krankheitsziele helfen soll. Das Modell belohnt üblicherweise vorhergesagte biologische Aktivität und benachteiligt vorhergesagte Toxizität. Die Forscher*innen waren jedoch besorgt über mögliche Dual-Use-Implikationen ihrer Technologie. Um dies zu untersuchen, kehrten sie das Ziel des Modells absichtlich um, indem sie für Toxizität Pluspunkte vergaben, anstatt sie zu bestrafen. Das Ergebnis war zutiefst alarmierend: In weniger als sechs Stunden generierte das Modell 40.000 Moleküle, von denen für viele eine deutlich höhere Toxizität vorhergesagt wurde, als sie bei bekannten Nervenkampfstoffen vorliegt. Trotz des Potenzials von KI-Tools wie MegaSyn, computergestützt neue toxische Verbindungen zu entwickeln, argumentieren einige Expert*innen wie M. M. Blum, dass sich nicht jede toxische Chemikalie für den Einsatz als chemische Waffe eigne.31 Mehrere andere wichtige Faktoren müssten berücksichtigt werden, darunter die Stabilität, die Komplexität des Synthesewegs, die Kosten und die Waffentauglichkeit. Während KI in dieser Hinsicht also Risiken bergen könnte, müssten viele andere Voraussetzungen erfüllt sein, um diese Computerentwürfe in tatsächliche chemische Waffen umzusetzen.

3. Automatisierte Synthese chemischer Kampfstoffe mit autonomen Laboren(SDLs). Die Hauptrisiken, die mit autonomen Laboren einhergehen, ergeben sich aus ihrer Fähigkeit, bekannte oder neue toxische Chemikalien selbstständig zu synthetisieren, was Bedenken hinsichtlich ihres möglichen Missbrauchs für chemische Waffen aufkommen lässt.

Aktionen und Präventivmaßnahmen

Um den Risiken zu begegnen, die sich aus dem böswilligen Einsatz von KI für die Entwicklung chemischer Waffen ergeben, werden im Folgenden fünf Handlungsoptionen skizziert:

1. Bildung und Ethik in der Wissenschaft. Es ist von entscheidender Bedeutung, Forscher*innen und die breite Öffentlichkeit sowohl über die positiven als auch die potenziell schädlichen Anwendungen von KI aufzuklären. Sensibilisierungskampagnen und strukturierte Ausbildungsprogramme sollten auf allen Bildungsebenen durchgeführt werden. Diese Programme sollten auch ein Verständnis von KI beinhalten, bei dem es auch wichtig ist zu vermitteln, was diese Tools können und nicht können. Denn es geht nicht nur darum, ein „guter Mensch” zu sein, sondern auch darum, die Tools zu verstehen, sie nutzen und ihre Ergebnisse interpretieren zu können. Darüber hinaus sollte der Lehrplan die Ethik in der Wissenschaft, den Dual-Use-Charakter von KI-Technologien und die Bedeutung verantwortungsbewusster Innovation, insbesondere im Bereich der Forschung und Entwicklung, abdecken.

2. Verstärkte Zusammenarbeit mit der OVCW. Eine anhaltende proaktive Zusammenarbeit mit der OVCW ist entscheidend, um neue internationale Entwicklungen im Bereich der KI in der Chemie antizipieren und darauf reagieren zu können. Regierungen und internationale Geldgeber*innen sollten in Erwägung ziehen, OVCW-Initiativen finanziell zu unterstützen, die das Potenzial künstlicher Intelligenz zur Stärkung des CWÜ untersuchen und das Ausmaß der Missbrauchsrisiken durch künstliche Intelligenz im Zusammenhang mit chemischen Waffen ermitteln sollen.

3. Stärkung der KI-Regulierung. Die Europäische Union ist der einzige internationale Akteur, der einen rechtlichen Rahmen für KI geschaffen hat, den sogenannten „EU AI Act”. Dieses Regelwerk enthält jedoch kein ausdrückliches Gesetz betreffend den Einsatz von KI zur Herstellung von chemischen oder biologischen Waffen. Darüber hinaus besagt die Vorschrift ausdrücklich, dass sie nicht für KI-Systeme gilt, die zu militärischen, verteidigungspolitischen oder nationalen Sicherheitszwecken auf den Markt gebracht oder verwendet werden. Der „AI Act” könnte überarbeitet werden, um einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der sich ausdrücklich mit dem Missbrauch von KI in der Biologie und Chemie befasst.

4. Einrichtung von KI-Sicherheitsmechanismen gemäß dem Stand der Technik. KI-Entwickler*innen sollten Sicherheitsmechanismen auf dem aktuellen Stand der Technik implementieren und ihre Systeme mit robusten Sicherheitsvorkehrungen ausstatten, um unbefugten Zugriff und Missbrauch zu verhindern. Diese Mechanismen sollten in der Lage sein, Versuche zur Umgehung von Beschränkungen zu erkennen und zu blockieren, insbesondere solche, die auf sensible Informationen bezüglich der Synthese und Verbreitung von chemischen Kampfstoffen abzielen.

Es ist von entscheidender Bedeutung, einen angemessenen Kompromiss zwischen den notwendigen Vorschriften und dem Gebot des wissenschaftlichen Fortschritts zu erreichen.

5. Eingeschränkter Zugang zu mit chemischen Fähigkeiten verzahnter KI. Die Verwendung von KI-Systemen, die um chemische Entwicklungs- oder Simulationswerkzeuge erweitert wurden – insbesondere in Verbindung mit autonomen Laboren –, sollte strikt auf qualifizierte Wissenschaftler*innen beschränkt sein. Der Zugang sollte nur nach einem strengen Überprüfungsprozess gewährt werden, der eine umfassende Rechtfertigung und ethische Freigabe erfordert. Nicht-Expert*innen oder Personen ohne spezielle Ausbildung sollten vom Zugang zu solch sensiblen Technologien ausgeschlossen werden. Die Fähigkeiten sollten von den Entwickler*innen, Forschungseinrichtungen und zuständigen Aufsichtsbehörden eingeschränkt und sorgfältig verwaltet werden.

Schließlich ist es von entscheidender Bedeutung, einen angemessenen Kompromiss zwischen den notwendigen Vorschriften und dem Gebot des wissenschaftlichen Fortschritts zu erreichen. Das bedeutet, dass wir die KI-Sicherheitsmechanismen und Zugangsbeschränkungen verstärken müssen, ohne damit jedoch den wissenschaftlichen Fortschritt zu behindern.

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